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Plattenbau als energieautarkes Haus

Die Nebenkosten steigen ständig und stellen somit nicht nur für die Eigentümer von Gebäuden, sondern auch für Mieter ein großes Problem dar. In den letzten 20 Jahren haben sich die Stromkosten verdoppelt, jetzt schnellen die Heizkosten nach oben, nicht zuletzt aufgrund der CO2-Aufschläge. Auch die Rechnungen der Handwerker, die Wartungen und Reparaturen durchführen, steigen immer mehr. Die zunehmende finanzielle Last reduziert die AGW (Ascherslebener Gebäude- und Wohnungsgesellschaft) auf eine neuartige Art und Weise.

So wird das Gebäude nach dem Umbau aussehen: ein modernes energieautarkes Mehrfamilienhaus mit Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an den Fassaden (Quelle: Timo Leukefeld)

Mit Start im März 2022 baut das städtische Wohnungsunternehmen einen der drei Plattenbauten in der Kopernikusstraße im Königsauer Viertel in Aschersleben zu einem energieautarken Mehrfamilienhaus um. Es ist ein bundesweit einmaliges Bauvorhaben, bei dem ein Energiekonzept zum Einsatz kommt, das auf drängende Fragen und Engpässe Antwort gibt.

Die künftigen Mieterinnen und Mieter der 22 Wohnungen mit zwei bis fünf Zimmern können sich schon jetzt auf eine Pauschalmiete inklusive der Energiekosten für Strom, Wärme und Elektromobilität freuen. Wodurch das möglich ist, wird schon von außen zu erkennen sein: Auf dem Dach und an drei Fassaden werden Photovoltaikmodule installiert, die günstigen Solarstrom produzieren. Und das nicht nur für den Haushaltsstrom und ein Elektroauto für das Carsharing, sondern auch für die behagliche Wärme. Die wird von hocheffizienten Infrarotheizungen erzeugt. Dadurch kann die AGW die Investitionskosten für das Heizsystem stark reduzieren, und die Kosten für Wartung und Reparaturen bleiben langfristig niedrig und planbar.

Zum Abreißen viel zu schade

„Das Gebäude stand schon lange auf unserer Liste für die energetische Sanierung“, sagt Mike Eley, Geschäftsführer der AGW. Innen gab es in den vergangenen Jahrzehnten bereits verschiedene Instandsetzungsmaßnahmen. So wurden zum Beispiel neue Fenster eingebaut und die elektrische Anlage erneuert. Der Plattenbau wurde aber nicht gedämmt und die Fassade auch nicht optisch verschönert. Trotzdem: Zum Abreißen viel zu schade, befanden Eley und sein Team. Denn die Bausubstanz ist auch nach 50 Jahren noch gut erhalten.

Zunächst wurden die oberen zwei Etagen abgetragen und ein Gebäudesegment mit einem Eingang abgerissen. Damit trug die AGW der Bevölkerungsabwanderung in der Region Rechnung. Im nächsten Schritt werden die unteren drei Stockwerke energetisch saniert und zeitgemäß optimiert. Als Mieter hat die AGW zum Beispiel junge Familien im Sinn. „Wir wollen wieder Kinder in das Quartier holen“, sagt Eley und kann sich vorstellen, dass die Familien die nächsten 50 oder 70 Jahre in ihrem neuen Heim wohnen. Dafür sind auch familienfreundliche Außenanlagen geplant.

Batteriespeicher erhöht Energieautarkie

Einen Beitrag zum Klimaschutz leisten die Bewohnerinnen und Bewohner dann jeden Tag. Denn der Strom und die Wärme in ihren Wohnungen soll real und nicht nur bilanziell zu über 60 Prozent solar erzeugt werden. Im Winterhalbjahr wird Ökostrom zugekauft. Dafür werden auf dem Dach Photovoltaikmodule mit insgesamt 111 Kilowatt Leistung installiert, dazu kommen Module mit 65 Kilowatt Leistung an den Fassaden in Richtung Süden, Osten und Westen.

Das Konzept der energieautarken Mehrfamilienhäuser geht auf den Freiberger Solarexperten und Honorarprofessor Timo Leukefeld und das Autarkieteam mit Architekt Klaus Hennecke und Projektsteuerer Jürgen Kannemann zurück. Sie haben die energieautarke Sanierung in Aschersleben geplant. Warum sie auf Solarenergie und Infrarotheizung setzen, erklärt Leukefeld so: „Der Heizungsmarkt befindet sich in einem gravierenden Wandel, da künftig in erster Linie strombetriebene Heizungen eingebaut werden sollen. Aktuell sind das noch vor allem Wärmepumpen, aber wir sind überzeugt davon, dass auch hocheffiziente Infrarotheizungen immer stärker zum Einsatz kommen werden.“

Denn diese haben laut Leukefeld diverse Vorteile: Es sind keine Rohrleitungen wie bei herkömmlichen wassergeführten Heizungssystemen nötig. Dadurch sinken der Zeitaufwand und die Materialkosten für die Montage deutlich. Zudem sind Infrarotheizungen über Jahrzehnte wartungsfrei, was bei dem Handwerkermangel und steigenden Stundensätzen langfristig ein enormer Vorteil sein wird. „Das ist ein großer Wert mit Blick auf die Rendite“, so der Energie-Experte. Mit PV-Strom vom eigenen Dach und den Fassaden können die hocheffizienten Infrarotheizungen nicht nur kostengünstig, sondern auch CO2-frei betrieben werden. Der Restbedarf kann mit Ökostrom gedeckt werden, so wie die AGW es plant.

Speicherkonzept mit drei Säulen

Um eine hohe Energie-Unabhängigkeit zu erreichen, ist ein ausgeklügeltes Speicherkonzept nötig. Das basiert hier auf drei Säulen. Für die Kurzzeitspeicherung werden Photovoltaik-Akkus installiert, die den tagsüber geernteten Sonnenstrom bis hin die Nacht vorhalten. Mittelfristig betrachtet, erfüllen die Warmwasser-Boiler eine Speicherfunktion. Jede Wohnung bekommt eine dezentrale Warmwasser-Bereitung mit einem circa 200 Liter fassenden Trinkwasserspeicher. Die zweite Heizpatrone heizt nur mit überschüssigem Sonnenstrom. „So können etwa 80 Prozent des Warmwasserbedarfs solar gedeckt werden“, erklärt Leukefeld.

Als dritte Säule wird die Speichermasse des Gebäudes, also die dicken Betonwände und Neu-Mauerwerk, durch die Infrarotheizung aktiviert. „Diese drei Säulen sorgen für eine hohe Energieautarkie“, resümiert Leukefeld. „Von März bis Oktober werden die Bewohnerinnen und Bewohner in der Regel vollständig autark sein.“

Minimale Energiekosten je Haushalt

Bei der Berechnung der Gesamtenergiekosten geht Leukefeld davon aus, dass die Haushalte zwischen 2.000 und 2.500 Kilowattstunden Haushaltsstrom im Jahr verbrauchen. Wenn die Umlage auf selbst verbrauchten Solarstrom, die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verankert ist, Mitte 2022 fällt, werden die Energiekosten für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom nach Berechnungen bei jährlich zirka 381 Euro je Wohneinheit beziehungsweise 32 Euro im Monat liegen. Wer will, kann auch noch die Kosten für die Mobilität reduzieren. Die Ascherslebener Gebäude- und Wohnungsgesellschaft plant, für die ersten Jahre ein Elektroauto zur Verfügung zu stellen. Es soll kostenfrei genutzt und stundenweise gebucht werden können. So können beispielsweise Bewohner, die nur selten fahren, ihr Auto abschaffen.

Durch den hohen Anteil an Solarenergie können die Kosten sicher geplant werden und das Wohnungsunternehmen kann sie in der Pauschalmiete mit „Energieflatrate“ einpreisen.

Nachhaltigkeit durch Vermeidung von grauer Energie und kreislauffähige Materialien

Neben der nachhaltigen und günstigen Energieversorgung hat die AGW noch ein weiteres Anliegen. Sie will unnötige graue Energie vermeiden. Als graue Energie wird die gesamte Energie bezeichnet, die in einem Bauvorhaben nötig ist: bei der Gewinnung der Materialien, dem Herstellen und Verarbeiten von Bauteilen, dem Transport von Menschen, Maschinen, Bauteilen und Materialien zur Baustelle, dem Einbau von Bauteilen im Gebäude ebenso wie zur Entsorgung. „Diese graue Energie wollen wir nicht noch einmal verursachen“, erklärt Mike Eley. Darüber hinaus wollen sie soweit wie möglich Baumaterialien einsetzen, die kreislauffähig sind. Das heißt, wenn das Gebäude irgendwann abgerissen wird, sollen die Materialien entweder kompostierfähig sein oder dem Wertstoffhof zugeführt werden können.

Die Sanierung dieses ersten Plattenbaus bezeichnet Eley als Pilotprojekt. „Wir werden die Ergebnisse genau beobachten, zum Beispiel den Stromverbrauch“ sagt er. Wenn Ergebnisse den Erwartungen entsprechen, wovon er ausgeht, sollen auch die anderen beiden Plattenbauten auf dem Gelände zu energieautarken Mehrfamilienhäusern saniert werden.

Weitere Informationen: https://agw-asl.de, www.timoleukefeld.de und www.autarkie.team