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Vergleich energiewissenschaftlicher Studien zeigt große Unsicherheiten hinsichtlich Kapazitätsmechanismen

In ihrem Koalitionsvertrag machen sich Union und SPD für die Einführung eines Kapazitätsmechanismus im Strommarkt stark. Nur so sei es in Zukunft möglich, ausreichende fossile Kraftwerkskapazitäten für die Energieversorgung zu sichern. Indes bestehen in Wissenschaftlerkreisen noch erhebliche Unsicherheiten zu diesem Marktinstrument. Das geht aus zwei Vergleichsdossiers hervor, welche die Agentur für Erneuerbare Energien kürzlich veröffentlicht hat. “Die Wissenschaft führt derzeit noch eine kontroverse Diskussion, ob Kapazitätsmechanismen für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit überhaupt notwendig sind, und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Ausgestaltung”, so Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien.

Die Befürworter eines Kapazitätsmechanismus gehen davon aus, dass der derzeitige Strommarkt dauerhaft nicht in der Lage sei, genügend Anreize auszusenden, um Versorgungssicherheit zu garantieren. Hintergrund ist die Entwicklung der Strompreise an der Börse: Der Strompreis sinkt hier seit einigen Jahren und sorgt zusammen mit einer geringeren Auslastung für erhebliche finanzielle Einbußen insbesondere bei den Betreibern von Gaskraftwerken. Während Kraftwerksbetreiber heute nur den erzeugten Strom vergütet bekommen, würden sie durch Kapazitätsmechanismen auch Zahlungen für die reine Bereitstellung von Erzeugungsleistung erhalten. Die Regierungsparteien wollen so vermeiden, dass bestehende Kraftwerke aus ökonomischen Erwägungen stillgelegt werden und Neuinvestitionen unterbleiben.

Wie viele und welche Kapazitäten künftig für die Stromversorgung benötigt werden, hängt allerdings von einer Vielzahl von Einflussfaktoren ab – über deren Entwicklung es in Wissenschaftskreisen höchst unterschiedliche Prognosen gibt. Hierzu gehören insbesondere die Entwicklung der Jahreshöchstlast, die Bereitstellung gesicherter Leistung durch erneuerbare Energien und die Potenziale des Lastmanagements. Nur auf der Grundlage dieser Faktoren lässt sich der Bedarf an fossilen Erzeugungskapazitäten abschätzen. “Verschiedene energiewirtschaftliche Studien nehmen hier nicht nur unterschiedliche Perspektiven ein, sondern ihre Schlussfolgerungen hängen auch stark von den Prämissen zu den genannten Einflussgrößen ab”, erklärt Vohrer. Das verdeutlichen die neuen Studienvergleichsdossiers der Agentur für Erneuerbare Energien, indem sie die Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Veröffentlichungen einander gegenüberstellen. Sie machen so sichtbar, dass es erhebliche Bandbreiten gibt in den Annahmen zur Entwicklung der folgenden Faktoren:

  • Wie entwickelt sich die Nachfrage nach Strom?
  • Wie viel gesicherte Leistung wird in Zukunft benötigt, um den Strombedarf jederzeit zu decken?
  • Wie viel gesicherte Leistung werden erneuerbare Energien künftig bereitstellen?
  • Wie entwickelt sich der konventionelle Kraftwerksbestand?
  • Welche Entwicklung nehmen Lastmanagementoptionen und Speicherausbau?
  • Welche Entwicklung nehmen zukünftig die Stromgroßhandels- beziehungsweise Börsenstrompreise?

Fakt ist: Die in den verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten zugrunde gelegten Prämissen hinsichtlich der angenommenen Entwicklung der Last, des Beitrags erneuerbarer Energien und der Potenziale der verschiedenen Ausgleichsmöglichkeiten haben letztlich entscheidenden Einfluss auf die Politikempfehlungen. Mehrere Studien zeigen etwa, dass es technisch möglich ist, genug Flexibilisierungspotenziale im Stromsystem zu mobilisieren. So könnten sehr hohe Anteile erneuerbarer Energien bis hin zu einer vollständig erneuerbaren Stromversorgung im Jahr 2050  realisiert werden. Ob hierfür Kapazitätsmechanismen das Instrument der Wahl sind, ist indes noch umstritten.

Aufgrund der bestehenden wissenschaftlichen Debatte wird auch die Politik die Notwendigkeit von Kapazitätsmärkten sowie die verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten weiterhin kontrovers diskutieren. “Im Sinne der Klimaschutzziele der Bundesregierung sollten neue Politikinstrumente unbedingt so geplant werden, dass keine kostspieligen Förderinstrumente für fossile Kraftwerke entstehen, die für die Versorgungssicherheit nicht unbedingt notwendig sind”, so Vohrer.

Weitere Informationen: www.unendlich-viel-energie.de/mediathek/hintergrundpapiere

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